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Stell dir vor, es ist Corona, und keiner geht hin

Vor ein paar Tagen noch waren die Auswirkun­gen des Coro­na-Virus in weit­er Ferne. Ich und viele andere waren im Park, man hielt die Abstände zwar ein, gab sich nicht die Hand, wusch sich die Hände etwas gründlich­er. Doch das alles mit einem Lächeln, das so tat, als könne einen das alles nichts anhab­en. Ein paar Leute schlu­gen schon Alarm, aber solang die öffentlich-rechtlichen es nicht tat­en und die Poli­tik nicht reagierte – was sollte schon passieren?

Dann die ersten Mel­dun­gen, dass Kitas und Schulen geschlossen wür­den. Klar: Halle an der Saale, die »Stadt der Reko­rde«, als erste in Deutsch­land. Dann begann die Zeit der Unklarheit. Und Unklarheit ist ja immer die Zeit der Ratschläge. Also kamen sie unaufge­fordert auf allen Kanälen: Die Zeit nutzen, nicht ein­fach net­flix­en, mal ein Buch lesen (gern auch Hegel!), bewusst Musik hören, auss­chlafen, Zeit mit den Kindern verbringen.

Doch dann schlossen die Kitas, dann die Schulen. Plöt­zlich musste man aushan­deln, wer zuhause bleiben sollte. Man hörte von den gestiege­nen Schei­dungsrat­en in Wuhan, vom Ansteigen der häus­lichen Gewalt in der Quar­an­täne. Die Todeszahlen stiegen. Der Aus­blick auf Entschle­u­ni­gung wurde zum Auge­naufreißen: Home-Work­ing und gle­ichzeit­ig auf zwei Kinder auf­passen, am besten noch deren Hausauf­gaben betreuen – wie das? Nicht nur die guten Vorsätze ver­schwan­den und die rat­geben­den Gesichter aus den Medi­en, es ver­schwand auch die Naiv­ität. Und damit der Gedanke, dass diese Krise vielle­icht doch ein­fach vor­beige­hen kön­nte. Es däm­merte dann langsam: Sie war gekom­men um zu bleiben. Lange.

Der Wind hat sich spätestens seit Merkels Ansprache gedreht. Das Virus ist plöt­zlich real, auch durch die Bilder der Tode­sanzeigen aus ital­ienis­chen Zeitun­gen. Seit­en­weise Gesichter und Geschicht­en. Dahin.

Nun obsiegt so langsam die Angst: Wie halte ich das fünf oder mehr Wochen durch? Was, wenn ich auch krank werde? Habe ich jeman­den angesteckt? Wie schlimm wird es noch? Was ist da los an der Börse? Und wenn 50 Mil­lio­nen Men­schen allein in Deutsch­land erkranken – ster­ben dann nicht 500 000 Men­schen allein hier? 

Das Virus macht nicht an Gren­zen halt, fragt nicht ob Frau oder Mann, schwarz oder weiß, reich oder arm. Schon gar nicht nach Ost oder West. Es macht alle gle­ich. Auf ein­mal sind wir, die indi­vidu­ellen, sou­verä­nen, erhabenen, als die wir uns immer wahrnehmen, auf unsere Art zurück­ge­wor­fen. Wir sind Men­schen. Und damit poten­tiell gefährdet. 

Also zuhause bleiben, per­sön­liche Kon­tak­te mei­den. Klar kann man auch lesen und Filme schauen und bloggen und pod­cas­ten. Aber in erster Lin­ie: durch­hal­ten, klarkom­men, den Stress da draußen nicht nach drin­nen lassen. 

Mein Vater hat­te mir als ich klein war oft erzählt, wie schlimm es für ihn war an der deutsch-deutschen Gren­ze zu ste­hen. Uni­formiert, mit der Kalaschnikow in der Hand. Mit dem Befehl, zu schießen, sobald jemand am Hor­i­zont läuft. Auf die Beine, wie auch immer das geht. Wie er immer wieder hoffte, dass kein­er kom­men würde. Nicht heute. Nicht jet­zt. Und das der ganze Mist ein­fach endet. »Robert«, sagte er dann, wenn er die Geschichte erzählt hat­te, »Stell dir vor, es ist Krieg, und kein­er geht hin. Das wäre so genial.«

In diesem Sinne sein Satz frei nach dem Zeit­geist samt Auf­forderung, zuhause zu bleiben: Stell dir vor, es ist Coro­na, und kein­er geht hin. 

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